Interview Asfa-Wossen Asserate
"...wenn die Messerklinge lang und breit und die Gabelzinken groß und lang sind..."
Als im Jahr 2003 das Sachbuch "Manieren" im Eichborn-Verlag erschien, hatten sowohl Autor - der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate (heute mit deutschem Paß) - als auch Verlag nicht mit einem Bestseller gerechnet. Zu einem solchen wurde allerdings das Buch - und zeigt, daß scheinbar "alte" Themen nicht aussterben, sondern viele Menschen untergründig weiterhin bewegen. Neun Fragen rund ums Essen & Trinken von Koch & Bergfeld an den Mann, der die Manieren-Debatte neu anstieß.
Prinz Asserate, wie sieht heute der gedeckten Tisch aus - aus einem Guß?
Manche Leute blicken mit geheimen Kummer auf die Lückenhaftigkeit ihrer verschiedenen Service, von dem einen gibt es sieben Teller, von dem nächsten dreizehn, und auch das Besteck ist nicht einheitlich geformt. Es gehört zum Geschmack unserer Zeitgenossen, die "corporate identity" möglichst vollständig durch jeden erdenklichen Gegenstand sichtbar zu machen.
Ich sehe dies improvisierende Zusammenstückeln von Besteck und Porzellan in einem privaten Haus nicht als Notlösung oder verzeihlichen Behelf an, sondern geradezu als ästhetische Qualität, die herbeigeführt werden müsste, wenn sie sich nicht von selbst ergäbe. Nachdem auch alles, was zum persönlichen Lebensstil eines Menschen gehört, Warencharakter angenommen hat, sind die Eindrücke, die man nicht kaufen kann, von unbezahlbarer Kostbarkeit geworden, und dazu zählt auch ein Tisch, der in dieser Form niemals in einem Restaurant zu haben wäre.
Gibt es keine Regeln?
Doch, natürlich. In dem Raum der deutschen Kultur, zu dem Österreich gehört, gibt es zwei Arten, das Besteck auf den Tisch zu legen. Die "norddeutsche" ist die auf dem ganzen Kontinent, einschließlich England, gebräuchliche. Sie besteht darin, alle Instrumente, die man mit der rechten Hand hält, rechts vom Teller so hinzulegen, dass der Löffel oder das Messer für den ersten Gang außen liegt und der Löffel für den letzten ganz innen - sollte eine Süßspeise der letzte Gang sein. Genauso verfährt man auf der linken Seite mit den Gabeln. In den vom Hause Österreich beherrschten oder beeinflussten Ländern galt das "Spanische Hofzeremoniell": dies schrieb vor, das gesamte Besteck auf der rechten Tellerseite zu decken, wieder innen für den letzten Gang - rechts das Instrument für die rechte, links das für die linke Hand - und ganz außen für den ersten.
Tischdecke - ja oder nein?
"An der Tafel altert man nicht", sagen die Italiener, um die vorweggenommene Ewigkeit beim Essen auszudrücken. Und so wird in beinahe allen Kulturen der Platz, an dem man ißt, als Altar behandelt, indem ein Tuch darüber gebreitet wird, ob dies auf dem Boden liegt oder einen Tisch bedeckt.
Und dann geht es los?
Eßmanieren sind eines der sichersten Zeichen dafür, ob jemand als Kind erzogen worden ist. Jemandem, über den man nichts weiß, beim Essen zuzusehen, ist viel aufschlussreicher, als seine Kleider zu betrachten und seinen weltläufigen Reden zu lauschen. Die Kunst, ein kleines Stück aufzuspießen und dann mit der Messerklinge von dem anderen, was auf den Teller ist, darauf zu schieben und zu häufeln, beherrscht am besten, wer es von Jugend an geübt hat. Es liegt in diesem Stil eine gewisse Sorgfalt und Bedächtigkeit, die den Gedanken an ein gieriges In-sich-Hineinschaufeln gar nicht aufkommen lässt.
Manchmal mit den angebotenen "Eßinstrumenten" gar nicht so einfach...
Wie wahr. Eine Gabel ist kein Stäbchen mit Zinken. Jedenfalls lässt sich dieser beschriebene Umgang mit Messer und Gabel am besten erreichen, wenn die Messerklinge lang und breit und die Gabelzinken groß und lang sind, sich Hefte und Griffe gut in die Hand schmiegen.
Was kann man noch so falsch machen?
Man muss sich selbstverständlich gegenüber den anderen Tischgästen gesprächsbereit zeigen - auch wenn man über ihre Gesellschaft nicht besonders beglückt ist. Man hat einfach kein Recht dazu, als Fels in der Brandung dazusitzen und zu schweigen. Mitgegangen, mitgefangen, das gilt auch bei einer Essenseinladung.
Das Essen steht auf dem Tisch...
Begonnen wird mit dem Essen, wenn die Hausfrau begonnen hat. Was und wieviel ein Gast nimmt und was er legen lässt, bleibt bei weltläufigen Leuten durchaus unkommentiert. Manches gelingt auch nicht. Selbst einem kalten Kaffee oder den verkochten Kartoffeln darf kein Kommentar hinzutreten: entweder der Fehler wird schweigend behoben, oder er wird eben nicht behoben.
Gibt es Tipps für den Gastgeber?
"Kaffee, Cognac und Zigarren werden in Salon serviert." Muß das sein? Ein Ortswechsel gibt Leuten, die bei Tisch nicht so glücklich plaziert waren, die Gelegenheit zum Wechseln des Gesprächspartners. Wenn die ausgetüftelte Tischordnung nicht aufgegangen ist, macht diese Möglichkeit dann vielleicht alles wieder gut.
Alkohol...
Zum vergnügten Trinken gehören Leute, die dasselbe im Sinn haben. Genötigt werden zum Trinken darf ohnehin niemand, solche Folklore überlassen man getrost georgischen Dorfhochzeiten, an denen man ja nicht unentwegt teilnimmt. Was sich während eines hemmungslosen Besäufnisses zugetragen hat, fällt am nächsten Tag augenblicklicher tiefer Vergessenheit anheim. Keine Verabredung, keine Verpflichtung, keine Verbindlichkeit, die während der Zecherei entstanden sein mag, hat am nächsten Tag noch die mindeste Gültigkeit, es sei denn, der Verpflichtete selbst wünscht daran fest zu halten. Das ganze "Fest" hat es im Grunde am nächsten Tag gar nicht gegeben.
Prinz Asserate war im Oktober 2004 zu Gast bei der Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld und wurde bei dieser Gelegenheit interviewt. Zurück
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